Ich schwimme flussaufwärts

Allgemein
Meinung, Freunde, Diskussion, Leben, Streit, Debatte, Voraussetzung, Stefan Reutter

Ich liebe den Sommer! Laue Nächte gemeinsam mit Freunden auf der Terrasse bei einem Glas Wein verbringen – was gibt es Schöneres, um einen stressigen Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Der Diskussionsbedarf ist riesig, denn es passieren immer Dinge, die ich nur sehr guten Freunden anvertrauen möchte. Normal. Wir kennen uns seit Jahren, die Stimmung ist locker, wie in einer Stammtischrunde.

Perfekte Voraussetzung also für ein gepflegtes Wortgefecht! Von wegen …

Kein Friede, keine Freude, kein Eierkuchen

Was ich in solchen Runden oft beobachte, ist das Gegenteil: Keiner diskutiert, alle sind einer Meinung, niemand traut sich, dem anderen zu widersprechen. Und das ist ganz schön anstrengend!

Aber nicht nur in meinem Freundeskreis beobachte ich dieses Phänomen. Auch in der Gesellschaft „hüpfen alle im Takt“ wie uniformierte Männchen. Keiner traut sich mehr, sich mit seiner Meinung gegen den Mainstream zu stellen. Alle sind sich einig, niemand äußert sich mehr konstruktiv.

Und damit nicht genug: Die Hierarchie bestimmt, wer recht und wer gefälligst zu folgen hat. Denn dem Chef widersprechen? Ein absolutes No-Go! Und damit versauert die Individualität der Menschen hinter der Mauer ihres Eigenschutzes und ertrinkt in den Tiefen des Mainstreams.

Darf ich bitten?

Natürlich ist es leicht, wenn Sie im Schatten Ihres Vordermanns Deckung suchen und sich hinter ihm verkriechen können. Denn die Meinung kundtun und dazu zu stehen, bedeutet Auseinandersetzung. Und wo diskutiert wird, kann es zu Konflikten kommen. Deshalb Mund zu, Blicke in die Luft und immer schön pfeifen – so, als ob man von alledem nichts mitbekommen würde …

Damit geht sie flöten, die Diskussionsbereitschaft in einer Gesellschaft, die vornherum auf heile Welt macht. Und dann ist es selbstverständlich, dass Ihnen nichts anderes mehr übrig bleibt, als Ihre Meinung für sich zu behalten, sich Ihren Teil zu denken, mit dem Kopf zu nicken und sich dem Strom der Masse hinzugeben.

Nur raus damit

Papperlapapp, so ein Quatsch! Denn seien Sie doch mal ehrlich: Wenn Sie eine komplett andere Meinung haben als all Ihre Freunde, Ihre Kollegen, Ihr Chef, sich aber nicht trauen, diese auszusprechen – dann kann ich Ihnen verraten, was passieren wird: Sie können sich selbst dabei beobachten, wie Ihr Gesicht immer röter und verbissener wird, Ihre Mundwinkel immer weiter nach unten wandern und Sie den Ausdruck der Unzufriedenheit gar nicht mehr ablegen können.

Und wenn Sie alles in sich hineinfressen, all Ihre Meinungsdifferenzen hinter verschlossenen Türen halten, dann können Sie sich darauf gefasst machen, dass Sie irgendwann implodieren. Bevor Sie explodieren. Weil Sie keinen Platz für noch mehr zurückgehaltene Meinungen haben und vor Wut über sich selbst, nicht schon längst etwas gesagt zu haben. Und wenn diese Wut hervorbricht, dann wird es erst richtig unschön.

Ab in die Ecke

Wenn Sie sagen, was Sie denken, besteht natürlich die Gefahr, dass Ihr Umfeld sie ausgrenzt und in die Ecke der Querulanten stellt. Dann ist es vorbei mit der Gruppenzugehörigkeit. Und das ist gut so!

In traditionellen Unternehmen, in denen alle nur ja und Amen sagen und so hoch springen, wie der Chef es vorgibt, dümpeln nämlich alle nur vor sich hin und dort ist Fortschritt so weit entfernt wie Boris Becker vom Millionärsdasein. Moderne Unternehmen hingegen schätzen Querdenker. Fordern diese und machen sie so erfolgreich.

Denn Sie folgen nicht dem Mainstream, sondern stellen sich bewusst dagegen, nehmen es als Herausforderung, einfach mal flussaufwärts zu schwimmen. Hier überlegt keiner zweimal, ob er jetzt besser die Klappe hält oder nicht. Sie sind aber nicht nur Querdenker im Unternehmen, sondern auch im Privatleben. Sie stehen dazu, was sie umtreibt, was sie bewegen möchten und was ihre Werte sind, was Ihnen im Unternehmen und im Leben wichtig ist –  und sagen das auch offen und ehrlich.

Denn Entwicklung entsteht nur, wenn auch der Mut zur Auseinandersetzung da ist. Diese Offenheit vermisse ich viel zu oft in der Gesellschaft – und ja, manchmal auch im privaten Kreis beim Gläschen Wein. Klar kommen Sie mit Ihren Diskussionspartnern nicht immer überein, aber hey, eine gesunde Diskussion hat noch keiner Freundschaft geschadet. Denn spreche ich offen und ehrlich über meine Ansichten, dann bin ich zumindest mit mir im Reinen, fühle mich wohl und kann eins mit Sicherheit vermeiden: Dass es irgendwann mal so richtig kracht!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.