In einem Weiterbildungsseminar, ich war Teilnehmer, habe das Seminar nicht geleitet, haben wir folgende Übung gemacht: Wir bildeten Zweierteams, einer im Team war der Fragende, einer der Antwortende. Die eine Frage, die immer wieder gestellt wurde, war: „Was willst du wirklich?“ Ich war zunächst in unserem Team der, der geantwortet hat. Und mein Gegenüber fragte wieder: „Was willst du wirklich?“ Ich habe geantwortet und geantwortet und er hat immer wieder das Gleiche gefragt. Irgendwann hatte ich das Gefühl: Boah, da kommt jetzt gar keine Antwort mehr. Aber ich konnte immer noch eine Antwort geben. Und noch eine … „Was willst du wirklich?“ Und am Ende hatte ich tatsächlich den Eindruck: Jetzt ist das übrig geblieben, um was es mir im Leben wirklich geht. Wenigstens für den Moment hatte ich diesen Eindruck, beim Kern angekommen zu sein.

Was willst du wirklich? 

Wohin mit deiner Lebensenergie?

So banal diese Übung vielleicht auch auf dich wirkt – und so fraglich es auch war, dass ich wirklich beim Kern meines eigenen Wollen angekommen bin –, so interessant finde ich sie noch heute. Denn sie illustriert in ihrer gebetsmühlenartigen Struktur, wie wichtig eben genau diese Frage für uns ist. Eine Frage, die ich zu den schwierigsten Fragen im Leben zähle, aber auch zu den wichtigsten. Wir sollten uns Zeit für sie nehmen, gerne ein paar Wochen, auf jeden Fall mehr Zeit als eine Übung in einem Seminar.

Bei der Frage geht es darum, herauszufinden, wer du bist. Da solltest du ehrlich sein und auch mit Überraschungen rechnen. Denn vielleicht entdeckst du Facetten deiner Persönlichkeit, die du vorher noch nicht gesehen hast. Für was bist du im Leben gemacht und gedacht? Was für ein Typ bist du eigentlich? Was magst du, was macht dir Angst, was treibt dich an?

Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen gar nicht klar ist, wie viel Potenzial in ihnen steckt. Weil sie ihre Energie in Dinge fließen lassen, die sie eigentlich gar nicht wollen. Weil sie sich viel zu lange zu wenig mit der eigenen Persönlichkeit auseinandergesetzt haben. 

Sie verschenken ihr Potenzial, weil sie sich keine Klarheit über sich selbst verschaffen.

Kalibriere deinen Kompass!

Wie finden wir diese Klarheit? Über einen Dialog. Einen Dialog mit uns selbst. Durch ein gutes Selbstgespräch. Aber auch durch ein gutes Gespräch mit den richtigen Menschen.

Geht es um Selbstgespräche und die Frage „Was will ich wirklich?“, dann wird das gerne mit dem Engelchen auf der einen und dem Bengelchen auf der anderen Schulter illustriert. Ich stelle mir gerne vor, dass es nicht bei diesen beiden fremden Stimmen bleibt, die dir einflüstern, was du zu tun hast. Da sitzt du an einer riesigen Tafel mit deinen Eltern, Geschwistern, Freunden, Bekannten, Nachbarn, vielleicht einer Figur aus einem Film, einem Buch, dem Tagesschau-Sprecher, die Lehrer nicht zu vergessen. – Und für dich kommt es darauf an, inmitten der vielen Stimmen noch dein Herz zu hören. Es kommt darauf an, nicht das Vertrauen in deine innere Stimme zu verlieren, das Gute zu hören und das dich zweifeln lassende, Lähmende zu überhören.

Wie ist deine Erfahrung, wenn du anderen Menschen von deinen Ideen erzählst? Sind sie eher negativ oder eher positiv? Lassen sie Raum für Entwicklung, oder haben sie „die Weisheit mit Löffeln gefressen“ und wissen genau, was geht und vor allem: was nicht geht?

Wir Menschen sind schneller dabei, zu sagen, was wir nicht wollen, als was wir wollen. Wir säen schneller Zweifel und triggern das Negative, als dass wir unterstützen und Kraft geben. So ist jedenfalls mein Eindruck. Dies ist aber nicht die Klarheit, die ich meine. 

Richten wir unseren Kompass auf das aus, was wir nicht wollen, oder auf das, was uns zweifeln lässt, dann bleiben wir eher stehen oder gehen rückwärts, als dass wir uns in die Zukunft entwickeln. Das macht keine Freude. Das ist negativ. Das hält mich davon ab, etwas Neues auszuprobieren, mich zu entwickeln. Halte ich mich zu lange in dieser negativen Welt auf, verschwende ich meine Energie, mein Potenzial. 

Deswegen ist es so wichtig, auf eine gute Weise kalibriert zu sein und sich mit Menschen zu umgeben, die ebenso eine gute Einstellung und Haltung haben: Deren Fokus auf dem Unterstützenden liegt, die neugierig sind, die dein Potenzial erkennen, dir vertrauen und dein Vertrauen in dich nähren. Die dir Kraft geben, deinen eigenen Weg zu gehen. Menschen, in denen du einen Mentor erkennst, der dich dabei unterstützt, die richtigen Fragen zu stellen und deine eigenen Antworten zu finden. Auch eine der am schwierigsten zu beantwortenden Fragen: Was willst du wirklich?