Wer in Führungsverantwortung ist, wird Tag für Tag mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: Führungskräfte müssen in einem Spannungsfeld agieren, das von gegensätzlichen Kräften geprägt ist, die an ihnen zerren, sie unter Druck setzen, ausbremsen oder rasant beschleunigen: Sie sollen inspirieren und motivieren, aber auch klare Grenzen setzen. Sie müssen Leistung fordern und gleichzeitig für Regeneration sorgen. Sie müssen vorangehen, aber gleichzeitig ihr Team im Blick behalten.
Diese Balance zu halten, erfordert ein tiefes Verständnis für die Dynamik des eigenen inneren Zustands – erfordert das, was ich „Erwachsene Verantwortung“ nenne.
Dynamisch in die Kurven
Balance ist ein physikalisches Gesetz. Wer Ski fährt, der weiß, wie entscheidend die Balance ist. Um vernünftig auf dem Ski zu stehen und gen Tal zu fahren und nicht permanent gen Tal zu fallen. Die Balance in deinen Bewegungen ist entscheidend. Nur wer das Gewicht mal nach vorne verlagert, dann wieder zurücknimmt, kann kontrolliert und dynamisch durch die Kurven gleiten. Statische Haltungen führen zu Kontrollverlust.
Du musst die Schienbeine abwechselnd beugen und strecken – und die Bewegung zwischen beiden Zuständen ist sehr wichtig, um die Belastung zu balancieren. Den Druck dann dort zu erhöhen, wo er für den Schwung gebraucht wird, und im richtigen Moment den Druck wieder wegzunehmen.
Genau dieses Prinzip gilt auch für die Führung: Wer permanent Druck aufrechterhält, verliert an Wirkung, weil er im entscheidenden Moment keine Intensivierung mehr vornehmen kann. Wer immer nur fordert, ohne Rückzugsmomente, wird langfristig ineffektiv und verliert die Bindung zu seinem Team.
Gute Führung kann sowohl-als-auch
Meine Erfahrung ist, dass viele Führungskräfte dazu neigen, Extreme zu leben. Entweder sind sie hochpräsent oder ziehen sich komplett zurück. Sie sind entweder der empathische Zuhörer oder der dominante Entscheider. Doch wirksame Führung bedeutet, beide Seiten integrieren zu können.
Wie bei so vielen Dingen im Leben kommt es auch hier auf die Dosis an. Wer immer nur offen und zugänglich ist, verliert an Autorität. Wer immer nur dominant auftritt, wird nicht als echte, einfühlende Führungspersönlichkeit wahrgenommen.
Die Führungskunst liegt darin, je nach Situation die richtige Balance zu finden. Wer dies kann, legt eine Souveränität an den Tag, die beeindruckt.
Innere Balance entsteht dabei nicht durch Vermeidung von Spannungen, sondern ist Ausdruck einer bewussten Haltung: Sowohl die eigenen inneren Zustände wahrzunehmen und ernst zunehmen als auch den Herausforderungen des Außen Gewicht zu geben. Auf die eigene Stimme zu hören, das, was von außen kommt aber nicht zu überhören. Und umgekehrt genauso: Fähig zu sein, in einer herausfordernden und ihre Ansprüche laut äußernden Außenwelt die innere Stimme wahrzunehmen.
Der innere Zustand beeinflusst die äußere Wirkung – und umgekehrt. Wer sich im Inneren ruhig und klar fühlt, strahlt das auch nach außen aus. Wer dagegen permanent unter Strom steht, erzeugt auch in seinem Umfeld Unruhe.
Erwachsene Verantwortung
Du kannst sehr schnell erkennen, ob jemand in einem guten Zustand des sowohl-als-auch ist. Ausgeglichen. Ying und Yang. Anspannung, Entspannung, Ein- und Ausatmen, Schwung und Gegenschwung … Eine Balance zwischen Klarheit und Empathie, zwischen Leistung und Regeneration, zwischen Struktur und Flexibilität.
Solche Persönlichkeiten beeindrucken, ruhen sie doch in sich und besitzen gleichzeitig eine enorme Ausdrucksstärke. Der Balanceakt, den sie hinbekommen, zeigt ein hohes Maß an Verantwortung: sich selbst und anderen Menschen gegenüber.
Eine erwachsene Verantwortung, weil sie die wirkenden komplementären Kräfte nicht einfach zu versöhnen suchen, was leicht zum Mittelmaß führen kann, sondern versuchen, allen Gegensätzen gerecht zu werden, sie in ihrer Eigenart bestehen zu lassen: was durch den hohen Anspruch an die eigene Entwicklung zu herausragenden Leistungen führt.
Balance als Schlüsselkompetenz von Führungspersönlichkeiten, weil sie ihre eigene Exzellenz fördern, zu einem Vorbild werden, und auch ein Umfeld schaffen, in dem andere Menschen in die Balance kommen können.
Wie gelingt es dir, in deine Balance zu kommen?