Was bleibt, wenn der Lebensstandard sinkt?

Allgemein, Lebenskunst, Sicherheit
Lebensstandard - Stefan Reutter

Sie sind am Ende. Sie können nichts mehr tun. Ihnen sind die Hände gebunden. Der Radius Ihres Wirkens ist mit einem Mal nur noch ein kleiner Zirkel, ein paar Meter um Sie herum. Es fühlt sich an, als ob Ihnen der starke Arm, mit dem Sie die Welt einst so wirkungsvoll erreichten, auf brutale Weise abgeschlagen worden ist. 

Ich fühle mit Ihnen. Schlimm ist nicht nur, dass die Situation, in der Sie sich befinden, ausweglos ist, viel schlimmer ist, wie Sie sich dabei fühlen: schmutzig, klebrig, eklig. Sie mögen sich selbst nicht mehr, denn machtlos, kraftlos oder pleite sein, ist peinlich.

Peinlich genug, dass jeder es sehen kann. Denn Sie haben nicht mehr die Mittel, um Ihre Schutzhülle aufrechtzuerhalten. Ihre Fassade. Ihre Maske. Heute sagen die Leute dazu: Lebensstandard.

Lebensstandard und Wert

Am Lebensstandard messen die Leute den Wert eines Menschen. Das ist ganz schön bescheuert, denn Sie und ich wissen doch, dass der Wert eines Menschen nichts mit der Größe des umbauten Raums seines Hauses zu tun hat. Oder mit der Anzahl der Zylinder seines Autos. Oder mit der Anzahl der Urlaubswochen zwischen Hin- und Rückflug. Oder mit dem italienischen Klang des Schneidernamens auf dem Innenfutter seines Sakkos.

Natürlich wissen Sie das. Und die Leute wissen das auch. Wenn Sie sie fragen, woran sie den Wert eines Menschen messen, dann nennen sie keine Uhrenmarken, Wohngegenden oder Mitarbeiterzahlen. Sie reden dann von inneren Werten wie Zuverlässigkeit, Freundschaft oder Großzügigkeit. 

Und doch arbeiten die meisten tagaus, tagein akribisch an ihrem Lebensstandard und an den äußeren, den materiellen Werten. Am Job und an dem Titel auf der Visitenkarte. An der Quadratmeterzahl des Büros. An der Finanzierung des dritten Autos. Am Beritt des Pferds. Am Liegeplatz für die Yacht. Am Vermögensaufbau. Sie kaufen oder mieten oder leasen oder finanzieren Sachen, an denen die anderen erkennen können, dass es ihnen gut geht. Ob es ihnen nun tatsächlich gut geht oder nicht.

Warum tun die Leute das nur? Und warum haben Sie das getan?

Ich verrate es Ihnen. Sie haben das nicht getan, weil Sie ein Materialist sind. Nicht weil Sie gierig sind. Nicht weil Sie ein schlechter Mensch sind. Sondern nur aus Angst. Und das ist keine Schande.

Die Angst, zu verlieren

Ihre Angst und die der Leute, ist die Angst vor dem Verlieren. Die Angst vor dem Nichts. Vor der Nicht-Existenz. Ja, am Ende der Verlustkette wartet der Tod. Haben-wollen ist die Gegenreaktion auf Verlustangst. Verlustangst ist Existenzangst. Und Existenzangst ist nur die Angst vor dem Tod. Also ist Haben-wollen nichts weiter als die Angst vor dem Tod. 

Denn wer im Kampf um die Ressourcen verliert, bleibt nun mal übrig oder wird vernichtet. Das Vogeljunge, das von seinen Geschwistern aus dem Nest gedrängt wurde, wird von der Katze gefressen. Wer obdachlos ist, bekommt keine Arbeit. Wer keine Arbeit hat, bekommt keinen Mietvertrag. Wer eine Rate nicht bezahlen konnte, bekommt keinen Kredit mehr. Wer in Lumpen ein Geschäft betritt, wird nicht bedient. 

Wir Menschen, die wir in starken Gemeinschaften, in Familienverbänden, in Gemeinden, in Staaten leben, wir verlieren zwar nicht mehr unser Leben wie das Vogeljunge. Aber mit dem Verlust der Kreditwürdigkeit verlieren wir unsere Würde. Wir wissen doch genau, dass Sie ohne Geld aus dem Spiel sind. Dass Ihnen dann niemand mehr etwas zutraut. Dass Sie dann geschnitten und verachtet und gedemütigt werden. Dass Sie dann gar nichts mehr machen können. Dass Sie machtlos sind.

Wirklich?

Einmalige Chance

Na, dann ist es tatsächlich schlimm zu verlieren. Dann dürfen Sie berechtigterweise Angst davor haben, Ihre Macht zu verlieren. Denn Geld und Macht sind nur zwei Währungen desselben Dings, die Sie ineinander konvertieren können. Geld verleiht Ihnen die Macht, Einfluss zu nehmen auf die Welt. Und Macht verschafft Ihnen Geld. Ein Mensch mit Macht und Geld hat Kraft, ist stark. Und ein ohnmächtiger Mensch ist nicht nur pleite, sondern kraftlos, schwach. Und wer braucht schon einen schwachen Menschen? – Schlimm, dass Sie nun schwach sind?!

Nein … Es ist gut, dass Sie nun schwach sind.

Sie haben nun die einmalige Chance, Ihre wahre Schwäche zu fühlen: Ihr Lebensstandard, Ihr Einfluss, Ihre Strahlkraft sind verpufft. Haben sich verflüchtigt. Sind davongeweht worden. Wie Geister bei Sonnenaufgang …

Aber das ist keine neue Erkenntnis. Noch mehr Impulse finden Sie in meinem Buch „Gut, dass es dir schlecht geht“: 

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